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Kunden-Bindungsraten scheinen das Maß aller Dinge zu sein. Schließlich wird hier messbar wie interessant ein Angebot für den Kunden ist. Bestellt der Kunde ein weiteres mal bei mir, so mache ich alles richtig. Wirklich? Mein New Yorker Kollege Andrew Sobel, weltweit führender Experte für B2B Bezieungsmanagement,  warnt vor dieser vereinfachten Sichtweise. Für ihn bedeutet gutes Beziehungsmanagement vor allem, mit dem Kunden von Jahr zu Jahr mehr Geschäft zu machen. Nicht nur, ihn nicht zu verlieren. Wie das geht verrät er hier in diesem Gastbeitrag.
  ” If you’re not gaining either share of wallet or share of mind with a client, you’re actually sliding backwards.” (Andrew Sobel)
 
Andrew Sobel

Andrew Sobel

Leading Business Relationship Expert

Die 4 Alarmzeichen für Kunden-Erosion

 
Manchmal meinen wir dass unsere Beziehung zum Kunden gut läuft, während sie in Wirklichkeit langsam schwächelt. Erkennen Sie eines dieser Alarmzeichen?
 
1. Schwindender Zugang. Der Vorstandsvorsitzende einer großen Bank, der jedes Jahr über 100 seiner wichtigsten Kunden persönlich besucht, sagte mir einmal was ihn bei seinen Geschäftsbeziehungen beunruhigt: “Wenn ich um einen Termin bitte und es sehr, sehr lange brauche bis ich einen bekomme.”
2. Wettbewerber erhalten den Zuschlag für Geschäft das eigentlich Sie bekommen sollten. Meist sagen Ihnen Ihre Kunden so etwas natürlich nicht persönlich. Sie gehen nur einfach ganz allmählich Verträge mit engagierteren, kreativeren und beständigere Konkurrenten ein die sich besonders um die Aufträge bemühen. 
3. Ihr Account Manager, Projektleiter oder Beziehungs-Manager und sein Team sind selbstgefällig. Ein Personal-Leiter erzählte mir einmal dass an einem Freitag neue wichtige arbeitsrechtliche Regelungen in Kraft getreten waren. Bereits am darauffolgenden Montag hatte er mehrere detaillierte Analysen von führenden Personalberatern auf dem
Tisch, die die für seine Firma relevanten Auswirkungen für die Gehalts- und Pensionszahlungen darlegten. Leider sei die Personalberatungs-Firma, mit der er das meiste Geschäft machte, nicht dabei gewesen. Diese sei wohl hinter dem Steuer eingeschlafen. Ein klarer Fall von Kunden-Verlust-Risko, denn der Personal-Leiter verringerte folglich das Vertragsvolumen mit dieser Firma.
4. Mangelnde Kommunikation und Info-Austausch. Sie sind nicht mehr Teil des inneren Kreises. Von Re-Organisationen bei Ihrem Kunden oder anderen wichtigen Ereignissen erfahren Sie aus der Presse statt von Ihren internen Kontakten. Ihr Kunde tauscht sich nicht über seine Pläne mit Ihnen aus oder ruft Sie an: “Wir haben diese Idee und wollten sie gemeinsam mit Ihnen verfolgen”
Eine bekannte Rechtsanwalts-Sozietät, ein guter Klient von mir, hatte einen langjährigen Kunden. Es handelte sich dabei um eine der weltgrößten Unternehmen. Jahr für Jahr stellte der CEO dieser Anwalts-Kanzlei seinem zuständigen Partner die Frage, wie es denn mit diesem Top-Kunden so laufe. “Alles bestens, wir haben eine tolle Geschäftsbeziehung”, lautete die Antwort. Schließlich habe man dieses große Dauer-Mandat bereits seit mehreren Jahren inne. Allerdings passiert etwas Gemeines: jedes Jahr ging der Umsatz mit diesem großen Kunden ein Stück zurück! Und obwohl die Anwalts-Kanzlei über viele gute Experten aus praktisch allen Rechtsgebieten verfügte war sie schließlich nur noch in zwei juristischen Bereichen im Geschäft. Diese Kanzlei war eindeutig nicht mehr im direkten Blickfeld des Chef-Justitiars ihres Kunden. Sie war nicht mehr von strategischer Bedeutung.
 
Okay, jedes Jahr konnte die Kanzlei hinter den Namen ihres Firmenkunden ein Häkchen für “Bestandskunde” setzen. Und es gab immer ein bisschen Lob für den zuständigen Partner. Die Geschäftsbeziehung selber war jedoch nur noch ein Schatten früherer Tage.
 

Die neue Bindung heißt Expansion

Wenn Sie nicht entweder mehr Geschäft machen oder mehr Aufmerksamkeit bei Ihrem Kunden erhalten, dann fallen Sie zurück. Wenn Sie die Spuren im Geldbeutel und Ihren Einfluss nicht erhöhen wird Ihre Beziehung abschlaffen und Gefahr laufen komplett einzuschlafen. 
 
Mit anderen Worten, wenn Sie bei Ihrem Kunden nicht zu den zwei oder drei Top-Beratern in Ihrem Fachgebiet gehören -oder wenn Sie nicht auf dem besten Wege dahin sind- dann riskieren Sie in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Sie sind dann einfach nur ein Lieferant, der irgendwie verwaltet werden muss.
 
Hier sind die Gründer hierfür und was Sie daraus machen sollten.
Nur kurz vorweg: Kunden-Bindung war natürlich immer eines der obersten Ziele, das ich meinen Kunden riet, anzusteuern. Es gibt große Vorteile bestehende Kunden zu halten, hierzu gehören unter anderem..
  • die tatsächlich Realisierung eines Kunden-Wertes (nicht dessen Verlust) über den gesamten Lebenszyklus der Beziehung hinweg, und das können Millionen Dollar sein;
  • geringere Vertriebskosten und höhere Margen;
  • Ausbau des eigenen Einflusses über einen längeren Zeitraum, da man den Kunden immer besser kennen lernt.

Stärkerer Wettbewerb zwingt zum Handeln

Mit steigendem Wettbewerbsdruck -und mit steigenden Ansprüchen der Kunden- reicht es nicht einfach so weiter zu machen wie bisher. Wenn Sie jedes Jahr dasselbe für Ihren Kunden tun, und auch dasselbe zu ihm sagen, dann wird Ihre Position langsam den Bach runter gehen.
 

Die Kunden-Bindungs Matrix

Client Retention depends on share of wallet and share of mind

Client Retention Matrix (Copyright: Andrew Sobel)

 
Die oben angeführte Grafik zeigt diesen Zusammenhang auf.
 
Auf der einen Seite ist der Grad der Aufmerksamkeit (Share of Mind), den Sie erhalten, von Bedeutung. Diese Aufmerksamkeit hängt von Ihrem Können als Experte und Vordenker ab, Ihrer Fähigkeiten Themen zu besetzen, und der strategischen Bedeutung, die diese für Ihren Kunden haben. Beispielhaft sei die Art der Beziehung genannt, die Sie zu Ihrem Hausarzt haben, verglichen mit der zu der Person, die gelegentlich in Ihrem Haus den Vorgarten in Ordnung hält – wer erhält bei Ihnen wohl höhere Aufmerksamkeit?
 
Auf der anderen Seite steht das Geschäftsvolumen (Share of Wallet). Dieses zeigt den Umsatzanteil an, den Sie aus dem jeweiligen Fachgebiet für den einen Kunden auf sich vereinigen können. Im oben genannten Beispiel der Anwaltskanzlei wäre dies ihr jeweiliger Anteil an den gesamten vom Kunden extern beauftragten Rechtsberatungskosten.
 
Die Gefahr eines Kundenverlustes (At-Risk-Retention) taucht dann auf wenn Sie sich im Bereich links unten in der Matrix befinden. Jedes Jahr bieten Sie dasselbe Produkt oder denselben Service an, Ihre Umsatz-Bedeutung aus Sicht der Kunden ist gering (low Share of Wallet) und gleichzeitig werden Sie nicht als Vordenker angesehen (low Share of Mind). Da helfen selbst gute Werte bei der Kunden-Treue (Retention Rate) wenig oder gute NPS-Werte (Net Promoter Score). Ihre Position ist einfach schwach.
 
Das Gegenteil ist im Bereich oben rechts der Fall. Hier, im Bereich der belastbaren Kunden-Bindung (Defensible Retention), erweitern Sie sowohl Ihr Geschäft, Ihren Umsatzanteil, und werden zugleich immer mehr als Vordenker wahrgenommen (high Share of Wallet and high Share of Mind). Dies ist die beste Ausgangslage um die unvermeidlichen Annäherungsversuche Ihres Wettbewerbs abzuwenden.
 

Wie Ihre Beziehung den Bach herunter gehen kann: Beispiel

Angenommen Sie sind EDV-Dienstleister und leisten als fester Lieferant für Ihren Kunden Anwendungsentwicklungen samt entsprechender Wartung. Ihr Projektleiter beim Kunden ist eine Führungskraft in der IT-Abteilung, vielleicht sogar ein Abteilungsleiter.
 
  1. Sie sind natürlich jedes Jahr sehr erfreut den Kunden an sich “gebunden” zu haben.
  2. Im Laufe der Zeit erwartet Ihr Kunde allerdings für seine IT-Ausgaben eine immer höhere Leistung. Ihr Ansprechpartner gibt den Kostendruck der Aktionäre und seiner Kunden an Sie als Dienstleister weiter. Faktisch will der oberste IT-Leiter weniger für Routinearbeiten ausgeben und stattdessen mehr in die Bereiche investieren, die direktere Schlüsselbedeutung für die Firma haben. Software-Systeme für die Neukunden-Gewinnung zum Beispiel, oder IT-Systeme zur Beschleunigung der Neuprodukt-Entwicklung, und ähnliche Projekte von hoher Relevanz.
  3. Während Sie mit Ihren Leistungen von Jahr zu Jahr höheren Preisdruck bekommen richten sich andere Wettbewerber weiter mit Ihren Angeboten an Ihren Projektleiter und dessen Chef. Die unterschiedlichsten Anbieter senden unterschiedliche Botschaften, was Ihnen doppelt schadet: einerseits gibt es diejenigen, die exakt Ihre Leistungen immer günstiger als Sie anbieten werden; auf der anderen Seite gibt es Wettbewerber die versprechen, genau die für den IT-Leiter strategisch so bedeutsamen Leistungen liefern zu können, die er Ihnen aufgezählt hatte.
  4. Im Verlauf werden eben diese beiden Kräfte -der Kunde will mehr Wert für sein Geld oder weniger bezahlen für die jetztige Leistung und das Aufzeigen neuer Ideen und Services durch Ihre Konkurrenten- vereint Übles bewirken. Der Kunde nimmt Sie als vergleichsweise weniger Nutzen-stiftend wahr.
  5. In der Folge wirken Sie ein bisschen “abgenutzt” für Ihn, wie eines von diesen heruntergekommenen Hotels in die seit Jahren schon nicht mehr investiert worden ist.
 
Jetzt werden Sie vermutlich sagen: “Sie unterstellen ja, dass wir gar nichts unternehmen um all das zu verhindern”. Richtig, aber beantworten Sie selbst diese Gegenfrage: “Haben Sie oder Ihre Firma Dauer-Kunden die Sie für selbstverständlich nehmen und für die Sie Ihren Einsatz nicht jedes Jahr erhöhen?” Natürlich haben sie diese. Jeder hat diese!
 
Vielleicht sind die meisten dieser Kunden klein oder unwichtig. Aber ich wette eben, einige von ihnen sind eben doch groß und wichtig – und Sie tun nicht genug. Sie besetzen nicht proaktiv die Themen auf deren Agenda. Sie sprechen nicht regelmäßig mit ihnen über neue und andere Wege wie Sie diese unterstützen können. Sie gehen nicht die letzte Meile um ganz spezifische Herausforderungen zu lösen, die dem Kunden wichtig sind. Sie lassen ihn nicht am vollen Potential teilhaben, das Ihre Firma beitragen kann.

Beispiele für Erosion sind überall

Als extremes Beispiel kann der Markt für Mobiltelefone herangezogen werden. Als Apple 2007 sein iPhone herausbrachte, seinen Kunden das Internet in die Hand brachte und diese die eingebaute Software und das tolle Design erlebten sahen die üblichen Mobiltelefone daneben plötzlich wie veraltete Museumsstücke aus. In der Folge sahen wir den außergewöhnlich raschen Kollaps der traditionellen Mobilfunk-Platzhirschen Nokia und Motorola. Tatsächlich fiel Motorola`s Marktanteil allein in Nordamerika binnen weniger Jahre von über 50% auf beinahe Null!
 
Auch im Dienstleistungs-Sektor gibt es derlei dramatische Beispiele: Bill Bain erweiterte im Consulting-Sektor die Strategie-Beratung um die Umsetzung und nahm McKinsey Marktanteile ab; Egon Zehnder erneuerte den Markt des Headhunting und baute eine große Firma auf, die ihre eigenen Regeln definierte; Rechtsanwalts-Kanzleien wie Wachtel entwickelten eine spezielle Totschlag-Verteidigungsstrategie; Marktforschungsinstitute wie Gallup betraten durch innovative Forschungen und Publikationen den Markt für Management-Beratungsleistungen; und so weiter und so fort.
 
Weniger dramatisch, aber durchaus üblich im Tagesgeschäft: die schleichende Erosion durch Ihre Wettbewerber. Die Konkurrenz wendet sich an Ihre Kunden und teilt diesen ihre neuesten Erkenntnisse auf bedeutenden Themenfeldern mit. Sie bittet um die Gelegenheit zum Abgeben von Gegenangeboten in genau Ihrem Geschäftsbereich. Sie zeigt mehr Begeisterung und Kreativität als Sie es tun. Nehmen Sie hierzu noch die Budget-Zwänge oben drauf, und diese langsame Erosion kann quasi sich über Nacht in eine katastrophale Fallgrube verwandeln. Wenn dies passiert, Sie Ihre Geschäftsbeziehung also nicht aktiv entwickeln, dann wird früher oder später Ihr Kunde einem Ihrer Wettbewerber erwidern: “Klar – machen Sie uns doch mal ein konkretes Angebot”.
 
Ihr Ziel ist also nicht nur, einen Kundenvertrag “zu verlängern” oder “zu halten”. Ihr Ziel besteht darin, die Kundenbeziehung aktiv auszubauen und zwar in beiden Dimensionen: dem eigentlichen Geschäftsvolumen (Share of Wallet) und dem Grad an Aufmerksamkeit für wesentliche Themengebiete (Share of Mind). Hierdurch erreichen Sie belastbare Kundenbindung (Defensible Retention). Sie müssen dies nicht nur tun weil es an sich positiv ist, sondern weil Nichtstun eben auch im Nichts enden kann

Fazit: immer diese 3 Fragen stellen

• Erhalten Sie einen beständig höheren Grad an Aufmerksamkeit indem Sie sich Ihrem Kunden als Vordenker in Ihrem Fachgebiet darstellen und dieses Wissen in einen für ihn breiteren strategisch relevanten Gesamtzusammenhang stellen?
 
• Bauen Sie Ihren Umsatzanteil mit dem Kunden aus indem Sie zugleich in weitere seiner Geschäftsbereiche vorstoßen und ihm dabei beständig neue Lösungen anbieten können?
 
• Haben Sie Kunden die zwar Vertrags-Verlängerer sind aber die in Wirklichkeit in der akuten Kunden-Verlustzone sind (At-Risk Retention)? Was genau sollten Sie mit diesen machen?

Dieser Artikel erschien im Original in Englisch und wird hier erstmals in deutscher Fassung veröffentlich. Mit freundlicher Genehmigung des Autors Andrew Sobel. THANK YOU, ANDREW!

Adrew Sobel ist ein führender U.S.-amerikanischer Experte auf dem Gebiet langlebiger Kunden-Beziehungen und vertrauens-basierter Geschäftskontakte. Anrew ist erreichar unter www.andrewsobel.com.